Start up: dream, plan, do!
Selbständig machen: Dein Leben beginnt, wo Deine Komfortzone endet
Von Bettina Breese
Irgendwas stimmte nicht mit der taffen Mittvierzigerin, die im Fortbildungsseminar seit 3 Wochen neben mir saß. Ihre amüsante „Berliner Schnauze“ meldete sich heute nur verhalten, keine Aufreger, keine Meckereien über dies und das. Mit steinerner Miene und tief seufzend zog sie langsam ihr Headset von den Ohren: „… also, jut sieht das nich aus, am Ende muss ick mich doch noch …“ – sie atmete tief durch – „… selbständig machen …“. Bei dem Stichwort werde ich schlagartig wach: „Echt?!“ Ich kann meine Begeisterung nur mühsam verbergen: „Ja, Mensch! Warum denn nicht? Kann doch sehr spannend sein!“ Im gleichen Moment ahnte ich den nun folgenden Sturm der Entrüstung. „SPANNEND nennsde det? Dann muss ick an mene janzen Rücklajen jehn!“ Sie hat Kapital? Ja, wie geil …, wozu hat sie denn die Rücklagen sonst, wenn nicht dafür, fragte ich mich insgeheim. Es folgten stakkatoartig die üblichen Schlagsteine, die einem erfahrungsgemäß bei dem heiklen Wort „Selbständigkeit“ entgegen geschleudert werden: 80-Stunden-Woche, schuften bis zum Umfallen, keinen Samstag, keinen Sonntag, keine Feiertage, nie Urlaub, Kreditschulden, Flaute, Rückschläge, Entbehrungen, keine Absicherung, Verlust, alles an die Wand fahren, Insolvenz; kurz: ein unverantwortliches RISIKO! Zugegeben: gegen diese Negativ-Front war mein schlichtes „spannend“ ein recht naiv anmutendes Argument.
Passion is energy (Oprah Winfrey)
Das war vor einem halben Jahr. Ich weiß nicht, was meine damalige Mitstudentin jetzt macht, mich jedoch hat die Vorstellung von Freiheit und Abenteuer, die ich schon immer mit Selbständigkeit verband, nicht mehr losgelassen. Käpt’n auf meinem eigenen Schiff – Traum oder Alptraum? Natürlich gab es die üblichen Unkenrufe notorischer Bedenkenträger. Teufels Küche, gnadenloses Finanzamt, Obdachlosigkeit, Untergang … Aber ich folgte dem Rat eines Winners: Kill them with success and bury them with a smile (Usain Bolt).
Inzwischen habe ich zusammen mit meinem Lebensgefährten Dariusz ein für den Anfang schon recht fluffig laufendes Kleinunternehmen im Bereich Haus- und Gartenservice gegründet - und zwar „janz ohne Rücklajen“. In den vergangenen Monaten hat sich eines immer wieder bestätigt: Probleme sind Gelegenheiten zu entdecken, was man kann - oder wie Jack Sparrow sagen würde: Das Problem ist nicht das Problem, sondern deine Einstellung zum Problem ist das Problem. Selbständigkeit ohne Kapital? Je nach Geschäftsidee kann das gehen. Selbständigkeit ohne Leidenschaft? Absolutes No-Go.
Doch reicht schon allein die Begeisterung für einen Traum aus, um ein Start-up zu wagen? Nun ja, es darf schon ein bißchen mehr sein. Abgesehen vom Know-how, Talent und einem entsprechenden Kompetenzenpackage wäre da z. B. noch die Sache mit den Werten. Jeder führt bewusst oder unbewusst persönlich favorisierte Werte ein Leben lang mit sich: Ehrlichkeit, Fleiß, Unabhängigkeit, Fürsorglichkeit, Macht, Natürlichkeit, Zuverlässigkeit, Ästhetik, Genuss, Sicherheit usw. Wenn meine speziellen Werte mit meiner Idee, ein Unternehmen zu gründen, übereinstimmen, kann mein Schiff Fahrt aufnehmen und auf Erfolgskurs gehen. Ein Wertekonflikt wird jedoch immer wieder den Energiefluss blockieren. Enthusiasmus für Deine Geschäftsidee ist das A und O, gesellen sich Mut, Kampfgeist, Disziplin und Flexibilität genauso dazu wie Selbstvertrauen und der Drang nach Unabhängigkeit, ist das Fundament „solid as a rock“.
Für Sicherheitsdenker, die sich in Abrahams Schoß am wohlsten fühlen, wird die Selbstständigkeit ebenso zum Dauerstress wie für träumerische Luftikusse. Mein Partner war früher Fallschirmspringer: ist das Equipment nicht exakt gepackt, bist du ein toter Mann, aber ohne Mut zum freien Fall bleibt der Absprung immer nur ein Traum.
Es gibt zahlreiche Tests, anhand derer potentielle Gründer systematisch eventuelle Schwachstellen abklopfen können. Ganz vorne der Klasssiker: Bist Du bereit, mehr als 40 Std. pro Woche zu arbeiten?
Aber, liebe Leute, das ist ja gerade der Witz. Lori Greiner drückte es in der Gründer-Show “Shark Tank” sehr treffend aus: Entrepreneurs are the only people who will work 80 hours a week to avoid working 40 hours a week. Ich möchte jedenfalls auch nicht mehr zurück in den 9/5-Modus mit all seinen Begrenzungen und Vorgaben. Die Frage nach der 40 Stunden-Woche greift einfach zu kurz, weil ich „Arbeit“ anders definiere, wenn ich mein eigener Boss bin. Beschäftigt mich abends um 23 Uhr noch mein Online-Marketing, so ist das für mich keine Arbeit. Wenn wir Baumärkte und Gartencenter nach möglichen Investitionskäufen durchforsten, läuft das für meinen Partner und mich unter der Rubrik Freizeit. Mein Business, mein Brand, mein „Schiff“ ist im Grunde stets ein Teil meines Lebens. Die „Arbeit“ hierfür lässt sich kaum wie bei einem Nine-to-five-Job in Stunden bemessen. Neben Dariuszs zuweilen knallhartem Knochenjob in den Gärten der Kunden und meinen Managementaufgaben für den Haus- und Gartenservice arbeitet es in unseren Köpfen auch darüber hinaus immer in irgendeiner Form an unserem Geschäft: Ideen, Pläne, Lösungswege, Impulse jeglicher Art - wir filtern quasi den ganzen Tag mit Augen und Ohren eines Gärtners unsere Umwelt, angefangen um 6 Uhr mit dem Wetterbericht im TV-Morgenmagazin, denn Petrus gehört zum Team.
Ganz wichtig in diesem Zusammenhang ist jedoch, dass Pausen auch wirklich Pausen sind: mit gutem Gewissen den Genuss freier Zeit zelebrieren. Früher hielt ich nichts von dem so hip gewordenen „Achtsamkeitsgedusel“. Mittlerweile erschließt sich dessen Wert, weil sich sonst der Akku nur zur Hälfte auflädt. Das heißt für mich z. B. morgens im Seedammbad volle Konzentration auf alle Sinne, die Wärme und Weichheit des Wassers, meine Bewegungen, mein Atem … jetzt ist jetzt. Verpflichtungen müssen und können warten. In meinem früheren Angestellten-Leben wusste ich mit Pausen und Freizeit nicht viel anzufangen, habe über noch zu Erledigendes gegrübelt und mich im alltäglichen Kleinklein zerfasert. Im Rahmen der Selbständigkeit wird einem der Wert freier Zeit viel deutlicher bewusst.
Eine weitere Testfrage lautet oft: Bist Du bereit, besonders am Anfang auf gewohnten Lebensstandard zu verzichten?
Sparta lässt grüßen? Kann, aber muss nicht sein. Und Verzicht lässt sich so sehen oder so: negativ, quasi als Bestrafung – oder positiv, als Challenge. Not macht erfinderisch, man lernt neue Lebensperspektiven und sogar an sich selbst neue Seiten kennen, das kann den Horizont ungemein weiten. Ansonsten gilt die alte Regel: Was dich nicht umbringt, macht dich taffer. Es ist wie immer eine Frage der Einstellung (siehe Käpt’n Jack Sparrow).
Auch den in Eignungstests üblichen Hinweis auf betriebswirtschaftliche Kenntnisse könnte man relativieren: Man muss nicht von vornherein ein BWL-Crack sein, aber die Bereitschaft, sich das fehlende Wissen anzueignen, ist unabdingbar - auch wenn Buchhaltung & Co. nicht für jeden der Burner sind. Ich hatte damit nie was am Hut, aber seitdem es „unsere Zahlen“ sind, ist die Rechnerei sogar interessant geworden. Es geht leichter, wenn man im Auge behält, wofür man es macht. Sag nicht: ich schleppe einen schweren Stein. Sag: ich baue mein Haus.
Wichtig ist auf jeden Fall die Gretchen-Frage: Wie hältst Du es mit dem Kunden? Formulierungen wie Bist du geschickt, Kunden zum Kauf von Produkten oder Dienstleistungen zu bewegen? klingen jedoch eher nach Heizdecken-Vertreter. Besser ist:
Gehst du mit Interesse und Einfühlungsvermögen auf die Bedürfnisse anderer Menschen ein?
Hier müssen angehende Gründer einfach mit einem klaren Ja antworten. Es geht nicht um eloquente Überredungskunst, sondern Empathie, die Fähigkeit, sich in die Bedürfnisse der Kunden hineinzuversetzen. Wie so oft, ist die innere Einstellung der Schlüssel zum Erfolg. Siehst Du den Kunden als zickigen Goldesel, der Dir das Leben schwermacht, oder als interessanten Partner für ein Win-Win-Geschäft? Zieh seine Mokassins an!
Risiko ist die Bugwelle des Erfolgs (Carl Amery)
Noch eine gute „Testfrage“: Triffst du deine Entscheidungen ohne Zweifel und Zaudern, nachdem du dich sachkundig gemacht hast?
Es geht nicht um die Frage: Bist du Bruce Willis oder Mimimi-Man? Entscheidungswillig sollte man natürlich sein, aber vor allem bestimmt die Qualität deiner Informationen die Tragfähigkeit der Entscheidungsgrundlage. Gute Recherche minimiert Risiken und baut Ängste vor einem bad oder gar worst case ab. Mut und rationales Sicherheitsdenken können sich auf Basis solider Information die Hand geben. Wo kann ich mir Unterstützung holen, wenn mein Geschäft nicht gut läuft? Wie komme ich zur Not an aufstockende Leistungen vom Job-Center? Können die ggfs. auch zeitweise die Krankenkassenbeiträge übernehmen? Gibt es Zuschüsse, Nachlässe, Härtefallregelungen? Welche Beratungsstellen gibt es wo und wofür? Und bloß keine falsche Scham: Du hast ein super Projekt mit einem Mehrwert für die Gesellschaft. Da ist es nur angemessen, dass man dir Unterstützung gewährt, bis der Laden läuft.
Manchmal muss man Abstand nehmen, um besser sehen zu können
Guter Rat ist die beste Investition. Eine andere Perspektive ist immer sehr hilfreich, also: nach draußen gehen, netzwerken, Feedback einholen, sich umhören, Live-input. Eine Investition, die sich in diesem Zusammenhang immer lohnt, ist ein professionelles Coaching, denn es weitet deinen Blickwinkel und du lernst dich dabei auch selbst besser kennen. Was ist dein Alleinstellungsmerkmal? Wenn du noch darüber grübelst: im Coaching findest Du’s raus. Gute Coaches unterstützen dich individuell in allen Belangen deines Gründerprojektes. Unter bestimmten Voraussetzungen werden sogar die Kosten von der Agentur für Arbeit übernommen.
Vertrittst du deine Ansichten und Interessen selbstbewusst, ohne kompromisslos zu erscheinen?
Sich seiner Stärken selbst bewusst zu sein, sein Business mit souveräner Überzeugung zu vertreten ist gerade am Anfang beim Kontakt mit zunächst misstrauischen Neukunden oder Bankberatern und anderen kritischen Köpfen sehr wichtig. Denn logisch: Nur wer selbst von seinem Produkt, seiner Dienstleistung überzeugt ist, kann auch andere davon überzeugen.
Steckst du Enttäuschungen und Rückschläge weg, ohne den Mut und die Energie zu verlieren?
Gute Frage, nächste Frage? Wer hier mit „Joa, denke schon“ antwortet, sollte die Dicke seines Fells überprüfen und Durchhaltekraft wie Geduld trainieren. Manche finden es cool, ungeduldig zu sein, das wirkt ja so schön dynamisch. Irrtum: hier verwechselt man Geduld mit Lahmheit. Dazu nur so viel: Ein Gepard benötigt im Durchschnitt 9 Fehlversuche, bis er beim 10. Sprint Beute macht. Winston Churchill meinte sogar, Success is the ability to go from one failure to another with no loss of enthusiasm. Und mit jedem Fail wächst man ja auch ein Stück.
Fazit: Wenn dich der Gedanke an Selbstständigkeit insgeheim immer wieder fesselt, auch wenn du noch gar nicht weißt, wie und womit, bleib dran, es lohnt sich: Wer ins kalte Wasser springt, taucht in ein Meer voller Möglichkeiten.
Autorin: Bettina Breese
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